Anna
Die Heilige Anna
Bevor sie auf Milena traf, war Anna eine blutrünstige Kriegerin, die auf der Jagd nach Macht und Gold Leid und Elend über die einfachen Menschen brachte. Sie scharte Knechte mit einem ebenso schwarzen Herzen um sich, und mit diesem Rudel von Wölfen nahm sie sich, was sie wollte.
Hin und wieder jedoch konnte jemand ihr Einhalt gebieten, so auch an diesem Tage in der Nähe von Jabel. In einem Scharmützel hatte Anna einige Männer verloren, und fast alle anderen lagen am Abend blutend und stöhnend auf dem nackten Waldboden, von dem sich viele mit Sicherheit nicht mehr erheben würden. Auch Anna selbst hatte einen tiefen Stich in den Arm erhalten.
Von den wenigen Unverletzten ließ Anna sich ihr Zelt aufbauen und begab sich zur Nachtruhe, und kein schlechtes Gewissen belastete ihren Schlaf. Doch als mitten in der Nacht zarte Hände ihren Arm berührten, erwachte Anna, griff nach dem Schwerte, ließ es jedoch wieder sinken, als ein merkwürdiges Gefühl von Geborgenheit ihr Einhalt gebot.
Im Schein der Fackeln war eine Frauengestalt zu sehen, die sich von Annas Lager erhob, nachdem sie ihren Arm versorgt hatte. Sie huschte aus dem Zelt zu den Siechen und Verwundeten, um auch ihnen Linderung zu bringen. Anna packte ihre Waffen, trat vor das Zelt und holte Luft, um ihre Stimme zu erheben, doch es erschien ihr frevlerisch, die Frau zu stören. Stattdessen ging Anna auf die Gestalt zu und beobachtete ihr Tun.
Nachdem die Frau einen weiteren Verwundeten in Augenschein genommen hatte, bat sie Anna um eine Schüssel mit Wasser. Ohne dass sie so recht wusste, warum, legte Anna Schwert und Schild ab und brachte ihr das gewünschte. Auch Hilfe beim Wickeln eines Verbandes oder beim Stützen eines Körpers verweigerte Anna nicht.
Zunächst hatte sie noch das Gefühl, ihre Hände gehörten nicht so recht zu ihrem Körper, doch als sie begriff, welche Kunst das Heilen war, und wie viel mehr Können dazu gehörte, einen Arm zu richten statt ihn zu zerschlagen, kehrte das Gefühl in ihre Hände zurück. Noch hielt sie nur das Licht für die Frau, doch bald legte sie selbst einen Verband an, und da es so viele Verwundete gab, begann sie bald, selbst Brüche zu schienen und Gelenke zu richten. Die Arbeit ging ihr leicht von der Hand, die Nähe der fremden Frau gab ihr Sicherheit. Gemeinsam brachten sie selbst die fast Toten ins Reich der Lebenden zurück.
Die Frau, das war natürlich Milena. Und als alle geheilt waren, da sagte Anna zu Ihnen:
Lebt wohl, denn die Tage des Krieges sind vorbei. Wir haben schreckliche Sünden begangen, und wir sollen ein Leben des Friedens in täglicher Reue verbringen. Entsagt der Gewalt, geht zurück zu euren Familien und in eure Heimat, und gedenkt dieses Tages als des Tages, an dem ihr und ich gerettet wurden – nicht nur vor dem Tod, sondern auch vor der Verdammnis.
Und die Kriegsknechte zerstreuten sich, und Anna gab ihre Schätze zurück an die, die nichts hatten und am meisten brauchten.
Fortan reiste sie mit Milena, und unter ihren Händen genasen selbst die unheilbaren. Ihr Schwert hatte sie nicht zurückgelassen, aber sie zog es nur noch wenn es galt, schwächere zu verteidigen.
Heute erinnert ein Schrein in der Nähe des Lagers an diese Begebenheit.