Das Fürstentum Nebelheim
Als ich an einem klaren, kalten Dezembermittag in Nebelheim ankam, wollte mir der bedrückende Name dieser Stadt und ihres Herzogtums wie Hohn scheinen. Die Sonne brach sich tausendfach auf dem über Nacht gefallenen Schnee, der auch jetzt, am Mittag, nicht mehr schmelzen wollte. Als ich die Brücke über die Trollense nehmen wollte, wurde ich wiederum um Zoll angehalten! Diesmal ließen sich die Büttel nicht abwimmeln, und sie nahmen mir doch tatsächlich fünf von den Talern ab, die mir der Abt in seiner Weisheit anvertraut hatte. Sie redeten von wilden Tieren, räuberischen Banden und noch weit schlimmerem, und meine Taler würden einen Söldner für fünf Tage dazu bringen, mich und andere vor den Gefahren des Fürstentums zu beschützen. Nun ja, in meinen Ohren klangen die Büttel wie aufgescheuchtes Federvieh. Was könnte an einem solch bezaubernden Wintertag schon schreckliches geschehen?
Meine Frage sollte nicht lange unbeantwortet bleiben, denn nur der Hilfe der Büttel, über die ich gerade noch spottete, habe ich es zu verdanken, dass mich ein Rudel riesiger Wölfe nicht bei lebendigem Leibe zerriss. Ich hatte kaum einige Schritte von der Brücke getan, als aus dem Wald zu meiner Rechten ein Rudel dieser abscheulichen Bestien hervorbrach und mir mein kleines Lebenslicht auspusten wollte. Die Büttel schossen wohl einige mit ihren vortrefflichen Armbrüsten, der Rest flüchtete. Als ich wieder bei Besinnung war, hatte man mich bereits in die Sicherheit der Nebelheimer Stadtmauern gebracht, die mit Abstand die höchsten und dicksten sind, die ich je sah.
Den Abend verbrachte ich in der Obhut der Herzogin, Frau Konstanze von Nebelheim, die mir einiges über das Herzogtum berichtete. Ich bin froh, in ihr so eine kundige Erzählerin gefunden zu haben, denn als sie ihr Erzählungen geendet hatte, verspürte ich nicht mehr die geringste Lust, das Herzogtum noch weiter zu erkunden.
Die Schar der Bewohner Nebelheims ist noch verschiedener und vor allem furchteinflößender als die Felsmündes. Menschen leben nur im nördlichsten Streifen des Herzogtums, und auch hier meiden sie die Wälder und Sümpfe, und die Kinder sind, sobald sie laufen können, daran gewöhnt, sich bei Einbruch der Nacht in die Sicherheit der dörflichen Palisaden zu flüchten. Das Leben ist im besten Fall als hart zu bezeichnen, und der Überlebenswille, gestärkt durch den Glauben an Ihn und Sie, hat mich tief beeindruckt.
Im Süden jedoch, dort, wo seit Generationen kein Zweifaltiger mehr gesiedelt hat, dort erstrecken sich die Sümpfe meilenweit um die schlammigen Seen, und in den Mooren hat schon so mancher Recke seinen Tod gefunden, ohne einen einzigen Streich geführt zu haben. In diesen Sümpfen lebt das Böse in mannigfacher Gestalt. Hier führt der fünfschwänzige das Regiment. Aus dem unwegsamen Sumpf brechen immer wieder Orks hervor, hässliche Gestalten mit Hauern im Gesicht und einem Gestank in den zerfetzten Kleidern, von denen Weihwasser und Kernseife sie nicht befreien könnte. Wolfsrudel, Ogerherden und Räuberbanden von verwilderten Barbaren, wenig mehr als Tiere, lauern dem arglosen Reisenden wie dem gewappneten Ritter in dunkler Nacht und dichtem Nebel auf. Und wen sie nicht im Kampf besiegen können, den treiben sie ins Moor, um hernach seine Reste zu verspeisen.
Es verwundert mich wahrlich nicht, warum dieses Herzogtum auch „Das Wilde Land“ geheißen wird, und der starke Glaube der Menschen hier nötigt mir Ehrfurcht ab. Er ist auch mehr als nötig, um gegen die Mächte des Bösen, die sich oft in Form finsterer Schwarzmagier mit den Orks und Wölfen verschworen haben, zu bestehen. Gerüchte gehen um, dass auch Nikodemus aus diesen Sümpfen stammte, bevor er den Weg an den Hof Borwins antrat.
Am folgenden Tag traf ich den Herzog, Gernot von Nebelheim, auch wenn ich ihn fast übersehen hätte. In seiner zerkratzten, rostigen Rüstung ging er fast unter in den bunten Farben und dem glänzenden Stahl der jungen Dobraner Ritter, die eben zur Bewährungsprobe am Hofe eingetroffen waren. Er nahm mich beiseite und empfahl mich dem Schutz zweier dieser Ritter an, damit ich Nebelheim auf dem schnellsten Wege verlassen könne, bevor der Winter und der Hunger die Orkbanden aus den Sümpfen in den Norden treibt. Ich nahm sein Angebot dankbar an, und so schnell mich der Esel trug, den er mir geliehen hatte, machte ich mich auf den Weg in lieblichere Gefilde.